In diesem Beitrag geht es nicht um den originalen, japanischen Animefilm (dazu hier entlang), sondern um die spätere Realverfilmung mit ScarJo. Ich bediene mich mal einer Rezension, die ich mir damals direkt nach dem Kinogang notiert hatte:
Als visuelles Erlebnis hat mir "Ghost In The Shell" unglaublich gut gefallen. Die Szene des japanischen Dinners – cue Killer-Geishas – war ein ganz besonders leckeres, optisches Bonbon. Generell freue ich mich immer, wenn der Blade-Runner-Noir-Look mit viel Geld und moderner Technik realisiert wird, noch dazu sexy verschmolzen mit dem Style von Björks "All Is Full Of Love"-Video. Alle Beteiligten spielen super, und die zugrundeliegende Geschichte des Animes ist über jeden Zweifel erhaben.
Zugleich wäre es gelogen zu behaupten, dass mich die medial groß aufbereitete Kontroverse des Films – das Thema Whitewashing – nicht beschäftigt hätte.
Als Zuschauer finden wir heraus, dass in dem von Scarlett Johansson verkörperten Hochglanz-Cyborg eigentlich das Gehirn eines japanischen Mädchens steckt, welches als politische Querulantin entführt und physisch ermordet wurde. Der Film unterstreicht mit diversen Dialogpassagen, dass die neue Gestalt des Majors ein absolutes Schönheitsideal und eine immense 'Verbesserung' zu vorher darstellt – sowohl ihre Schöpfer, als auch andere Schlüsselfiguren der Handlung sind geradezu hypnotisiert von der Gottgleichheit unserer Scarlett. Herrje, der Vorspann des Films sagt wörtlich, dass Hanka Robotics "the best of human and the best of robotics" verschmolzen habe. Es erfordert wirklich nicht viel gedankliche Flexibilität, bei den Implikationen dieser Darstellung anzukommen: Der ethnische Körper von Kusanagi – defekt, "schlitzäugig", "plattnasig" – wurde durch einen besseren ersetzt. Die Shell ist das Upgrade zum Ghost.
Das finde ich vor allem eines: schade. Schade, weil der Film das Potenzial verschenkt, all das gezielt in beißende Kritik umzuwandeln. Mit kleinen Änderungen gegenüber der Anime-Vorlage wäre dieser "Ghost in the Shell" in der Lage gewesen, seine (seien wir ehrlich, von finanziellen Gründen getriebene) Castingentscheidung in einen gesellschaftspolitischen Kinnhaken zu übersetzen, der das hochprävalente ethnic whitening in der ostasiatischen Kultur ins Visier nimmt. Verfechter des Films pochen ja darauf, durchaus nicht zu Unrecht, dass in Ländern wie Japan oder Südkorea seit Jahrzehnten ein Hang zur Idealisierung kaukasischer Gesichter besteht, die auch im originalen "Ghost in the Shell" zu finden ist. Sailor Moon, mit ihren blauen Kulleraugen, soll eine japanische Teenagerin sein? Passt dazu, dass Millionen Frauen in Korea und Japan sich operativ Lidfalten konstruieren lassen, um europäischer auszusehen...
Doch leider lässt diese Verfilmung jede Pfiffigkeit, jeden Sarkasmus, jeden Biss in dieser Hinsicht vermissen. Anstatt zum Spiegel der Weißen-Idealisierung zu werden, bleibt Sanders' "Ghost in the Shell" ein teurer, massentauglicher Beitrag zum Problem – und das gleich zweimal, denn auch der von Michael Pitt gespielte Cyborg ist eigentlich ein Mann namens Hideo.
Im Sinne eines ausgewogenen Fazits will ich allerdings noch auf einen m. E. sehr lesenswerten Blogbeitrag von Oliver Kotowski hinweisen, der im Auge des damaligen Shitstorms klug aufzeigte, dass es sich mit dem Weltenbau des Films sehr wohl vereinbaren lässt, Kusanagi kaukasisch aussehen zu lassen. Doch auch Kotowski kommt letztlich zum Schluss, dass dies nicht ausreicht, um systemische Ungerechtigkeiten in der von Hollywood bestimmten Kulturindustrie wegzuargumentieren; dem asiatisch(-amerikanisch)en Publikum wurde dennoch eine mögliche Identifikationsfigur vorenthalten.
In diesem Sinne lasse ich die Journalistin Jen Yamato meine Rezension beenden:
The dystopian world that Sanders depicts – and on a sheer craft level, depicts rather beautifully – is for all intents and purposes a post-racial society, where individual identity doesn't appear to be constructed predominantly along racial lines. That's (almost) a lovely idea. But every film of course must bridge the gap between the world it depicts and the world we've got. In a more equitable situation, Johansson's claim that her character is "identity-less" might ring less hollow. But in an industry that is only just beginning to tell stories about people who are neither white nor black, it inevitably smacks of celebrity privilege.
(L.A. Times, 2017)
PS: Ich habe gehört, dass der Schöpfer der großartigen Animevorlage, Mamoru Oshii, sich sehr positiv über das Casting von Ms. Johansson geäußert hat. Er wendet ein, dass der Major im Quellenmaterial kaum über seine ethnische Herkunft definiert wird. Ich vermute, dass Oshii einfach glücklich war, dass sein Material kurz vor einer weiteren globalen Aufmerksamkeitswelle stand. Auch beobachte ich immer wieder, dass Personen in Ostasien Whitewashing nicht annähernd so schlimm finden wie in den Westen migrierte Asiat:innen. Entsprechend hörte man auch aus Japan zum Johansson-Casting allenfalls das leise Rascheln eines kollektiven Schulterzuckens; die gekränkten Reviews kamen vielmehr aus Richtung der asiatisch-amerikanischen Community. Das soll letztere aber nicht abwerten, denn es ist nur logisch, dass es die Mehrheitsgesellschaft in Tokio viel weniger umtreibt, was in westlichen Kulturprodukten passiert.
PPS – slightly off-topic: Wer sich mehr für Fragen des ethnic whitening in der japanischen (Pop-)Kultur interessiert, dem empfehle ich sehr die Ausführungen von Fredrik L. Schodt ("Dreamland Japan: Writings on Modern Manga"). Schodts Forschung führt die ethnische Verfremdung japanischer Charaktere auf eine erzwungene Öffnung Japans gegenüber dem Westen zurück (v. a. direkt nach dem Zweiten Weltkrieg). Zuvor, als Japan noch hochgradig vom Rest der Welt isoliert war, stellten japanische Künstler:innen sich selbst "with Asian features, and often smallerthanlife eyes" dar, wohingegen Europäer gezeichnet wurden als "huge hairy freaks with enormous schnozzles."
Andere Theoretiker sehen die Ursprünge des Phänomens im shojo-Manga der 60er Jahre, einem Genre, dessen Autor:innen bevorzugt ein 'never-neverland called the West' als ihren Handlungsort wählten. Und wieder andere Quellen attribuieren die großen Augen von Mangafiguren schlichtweg auf das Bedürfnis, möglichst viel Dramatik und Emotion zu vermitteln, was nun mal klassisch über die Augen funktioniert (daher haben weibliche Figuren, stereotypkonform, auch immer größere Augen in Manga und Anime, als männliche Charaktere). Eins haben alle Erklärungsansätze jedoch gemein: Sie unterstreichen, dass trotz der verfremdeten Optik die meisten Charaktere ohne Zweifel Japaner:innen sind.
Als visuelles Erlebnis hat mir "Ghost In The Shell" unglaublich gut gefallen. Die Szene des japanischen Dinners – cue Killer-Geishas – war ein ganz besonders leckeres, optisches Bonbon. Generell freue ich mich immer, wenn der Blade-Runner-Noir-Look mit viel Geld und moderner Technik realisiert wird, noch dazu sexy verschmolzen mit dem Style von Björks "All Is Full Of Love"-Video. Alle Beteiligten spielen super, und die zugrundeliegende Geschichte des Animes ist über jeden Zweifel erhaben.
Zugleich wäre es gelogen zu behaupten, dass mich die medial groß aufbereitete Kontroverse des Films – das Thema Whitewashing – nicht beschäftigt hätte.
Als Zuschauer finden wir heraus, dass in dem von Scarlett Johansson verkörperten Hochglanz-Cyborg eigentlich das Gehirn eines japanischen Mädchens steckt, welches als politische Querulantin entführt und physisch ermordet wurde. Der Film unterstreicht mit diversen Dialogpassagen, dass die neue Gestalt des Majors ein absolutes Schönheitsideal und eine immense 'Verbesserung' zu vorher darstellt – sowohl ihre Schöpfer, als auch andere Schlüsselfiguren der Handlung sind geradezu hypnotisiert von der Gottgleichheit unserer Scarlett. Herrje, der Vorspann des Films sagt wörtlich, dass Hanka Robotics "the best of human and the best of robotics" verschmolzen habe. Es erfordert wirklich nicht viel gedankliche Flexibilität, bei den Implikationen dieser Darstellung anzukommen: Der ethnische Körper von Kusanagi – defekt, "schlitzäugig", "plattnasig" – wurde durch einen besseren ersetzt. Die Shell ist das Upgrade zum Ghost.
Das finde ich vor allem eines: schade. Schade, weil der Film das Potenzial verschenkt, all das gezielt in beißende Kritik umzuwandeln. Mit kleinen Änderungen gegenüber der Anime-Vorlage wäre dieser "Ghost in the Shell" in der Lage gewesen, seine (seien wir ehrlich, von finanziellen Gründen getriebene) Castingentscheidung in einen gesellschaftspolitischen Kinnhaken zu übersetzen, der das hochprävalente ethnic whitening in der ostasiatischen Kultur ins Visier nimmt. Verfechter des Films pochen ja darauf, durchaus nicht zu Unrecht, dass in Ländern wie Japan oder Südkorea seit Jahrzehnten ein Hang zur Idealisierung kaukasischer Gesichter besteht, die auch im originalen "Ghost in the Shell" zu finden ist. Sailor Moon, mit ihren blauen Kulleraugen, soll eine japanische Teenagerin sein? Passt dazu, dass Millionen Frauen in Korea und Japan sich operativ Lidfalten konstruieren lassen, um europäischer auszusehen...
Doch leider lässt diese Verfilmung jede Pfiffigkeit, jeden Sarkasmus, jeden Biss in dieser Hinsicht vermissen. Anstatt zum Spiegel der Weißen-Idealisierung zu werden, bleibt Sanders' "Ghost in the Shell" ein teurer, massentauglicher Beitrag zum Problem – und das gleich zweimal, denn auch der von Michael Pitt gespielte Cyborg ist eigentlich ein Mann namens Hideo.
Im Sinne eines ausgewogenen Fazits will ich allerdings noch auf einen m. E. sehr lesenswerten Blogbeitrag von Oliver Kotowski hinweisen, der im Auge des damaligen Shitstorms klug aufzeigte, dass es sich mit dem Weltenbau des Films sehr wohl vereinbaren lässt, Kusanagi kaukasisch aussehen zu lassen. Doch auch Kotowski kommt letztlich zum Schluss, dass dies nicht ausreicht, um systemische Ungerechtigkeiten in der von Hollywood bestimmten Kulturindustrie wegzuargumentieren; dem asiatisch(-amerikanisch)en Publikum wurde dennoch eine mögliche Identifikationsfigur vorenthalten.
In diesem Sinne lasse ich die Journalistin Jen Yamato meine Rezension beenden:
The dystopian world that Sanders depicts – and on a sheer craft level, depicts rather beautifully – is for all intents and purposes a post-racial society, where individual identity doesn't appear to be constructed predominantly along racial lines. That's (almost) a lovely idea. But every film of course must bridge the gap between the world it depicts and the world we've got. In a more equitable situation, Johansson's claim that her character is "identity-less" might ring less hollow. But in an industry that is only just beginning to tell stories about people who are neither white nor black, it inevitably smacks of celebrity privilege.
(L.A. Times, 2017)
PS: Ich habe gehört, dass der Schöpfer der großartigen Animevorlage, Mamoru Oshii, sich sehr positiv über das Casting von Ms. Johansson geäußert hat. Er wendet ein, dass der Major im Quellenmaterial kaum über seine ethnische Herkunft definiert wird. Ich vermute, dass Oshii einfach glücklich war, dass sein Material kurz vor einer weiteren globalen Aufmerksamkeitswelle stand. Auch beobachte ich immer wieder, dass Personen in Ostasien Whitewashing nicht annähernd so schlimm finden wie in den Westen migrierte Asiat:innen. Entsprechend hörte man auch aus Japan zum Johansson-Casting allenfalls das leise Rascheln eines kollektiven Schulterzuckens; die gekränkten Reviews kamen vielmehr aus Richtung der asiatisch-amerikanischen Community. Das soll letztere aber nicht abwerten, denn es ist nur logisch, dass es die Mehrheitsgesellschaft in Tokio viel weniger umtreibt, was in westlichen Kulturprodukten passiert.
PPS – slightly off-topic: Wer sich mehr für Fragen des ethnic whitening in der japanischen (Pop-)Kultur interessiert, dem empfehle ich sehr die Ausführungen von Fredrik L. Schodt ("Dreamland Japan: Writings on Modern Manga"). Schodts Forschung führt die ethnische Verfremdung japanischer Charaktere auf eine erzwungene Öffnung Japans gegenüber dem Westen zurück (v. a. direkt nach dem Zweiten Weltkrieg). Zuvor, als Japan noch hochgradig vom Rest der Welt isoliert war, stellten japanische Künstler:innen sich selbst "with Asian features, and often smallerthanlife eyes" dar, wohingegen Europäer gezeichnet wurden als "huge hairy freaks with enormous schnozzles."
Andere Theoretiker sehen die Ursprünge des Phänomens im shojo-Manga der 60er Jahre, einem Genre, dessen Autor:innen bevorzugt ein 'never-neverland called the West' als ihren Handlungsort wählten. Und wieder andere Quellen attribuieren die großen Augen von Mangafiguren schlichtweg auf das Bedürfnis, möglichst viel Dramatik und Emotion zu vermitteln, was nun mal klassisch über die Augen funktioniert (daher haben weibliche Figuren, stereotypkonform, auch immer größere Augen in Manga und Anime, als männliche Charaktere). Eins haben alle Erklärungsansätze jedoch gemein: Sie unterstreichen, dass trotz der verfremdeten Optik die meisten Charaktere ohne Zweifel Japaner:innen sind.