Im Hafen seit: 20.01.2022
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05.05.2025, 01:48
(Zuletzt bearbeitet: 09.05.2025, 21:28 von JP.)
Liebe Fernhafis ,
wie der Phönix aus der Asche erhebe ich mich wieder aus laaanger Hafenpause und schwebe diesmal nicht nur über, sondern *IN* den Fernhafen. Mein lieber -- mittlerweile Verlobter -- (huch ja ich hab mich wirklich LANGE nicht mehr hier blicken lassen) hat mir ein Kindle zu Weihnachten geschenkt (ja nun auch schon eine Weile her...) und ich habe meine digitale Bibliothek stolz gefüttert Und da musste ich mir natürlich auch eine Buchempfehlung geben lassen, die brav gelesen wurde und die ich hiermit als meinen ersten Beitrag in 2025 einpflegen möchte.
Yann Martel – Schiffbruch mit Tiger -- rawrr, rawrr, rawrr
"Schiffbruch mit Tiger“ ist weit mehr als eine Abenteuergeschichte – es ist für mich ein literarisches Meisterwerk, das gleichermaßen fesselt, berührt und nachdenklich stimmt. Schon nach wenigen Kapiteln wird klar, dass der Autor ein außergewöhnliches Gespür für Sprache hat.
Der Schreibstil ist bewundernswert: poetisch, aber nie überladen; klar, aber stets mit Tiefgang. Besonders genial ist die Entscheidung, die Kapitel in unterschiedlich langen Abschnitten zu erzählen – ein formales Detail, das den Lesefluss lebendig hält und dem Rhythmus der Handlung folgt wie Wellen dem Wind.
Was zunächst als phantastisches Abenteuer mit einem Tiger in einem Rettungsboot beginnt, entfaltet sich bald zu einer vielschichtigen Parabel über den Überlebenswillen, die Kraft der Vorstellung und die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Die Spannung bleibt konstant hoch, und doch gibt es Momente voller Witz, Staunen und schmerzlicher Schönheit. Das Buch schwingt mühelos zwischen brutalen Szenen und Passagen von spirituellen Erkenntnissen.
Die religiösen Elemente sind zwar anfangs präsent, treten jedoch zugunsten einer eher philosophischen Auseinandersetzung in den Hintergrund.
Ein weiteres geniales Detail am Ende ist der überraschende Twist!
„Schiffbruch mit Tiger“ ist ein Buch, das bleibt. Es beeindruckt nicht nur durch seine Handlung, sondern durch seine Tiefe. Es ist ein literarisches Erlebnis – spannend, schön, brutal und auch menschlich.
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Im Hafen seit: 18.09.2013
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05.05.2025, 15:02
(Zuletzt bearbeitet: 06.05.2025, 14:31 von Kubrickian.)
Auch einer meiner Lieblinge, @ kevers! Allerdings hat mich nur meine alte Roman-Lese-Regel "gib dem Autor 100 Seiten lang eine Chance" davor gerettet, das Buch einigermaßen gelangweilt beiseite zu legen - denn in der Ausgabe damals fing auf der 99. Seite der Schiffbruch an!  Am Ende war ich aber hin & weg, auch wg. dem von dir genannten Twist gen Ende!
(Schön dein buntes & interessantes Avatar-Schiff mal wieder im 'Hafen andocken zu sehen!  )
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Im Hafen seit: 20.01.2022
Beiträge: 249
09.05.2025, 21:19
(Zuletzt bearbeitet: 09.05.2025, 21:32 von JP.)
Freitag abend, Jazzmusik im Hintergrund, frisch aus der Badewanne -- was gibt es da schöneres als wieder im Fernhafen anzulegen <3
Da ich nach langer Lesepause endlich wieder mehr Motivation habe zu lesen, kommen hier gleich im Anschluss weitere Rezensionen! Das folgende Buch stand schon lange auf meiner Wunschliste; ich muss gestehen, dass ich relativ viele TikToks von Menschen, die dieses Buch in der Öffentlichkeit gelesen und dabei bitterlich geweint haben, gesehen habe und das hat meine Neugier deutlich geweckt!
Hanya Yanagihara - "Ein Wenig Leben" -- deprimierend, teilweise schön
Some authors just want to watch the world burn...
"Ein wenig Leben" von Hanya Yanagihara ist ein tiefgründiges und emotional aufwühlendes Buch, das die Lesenden auf eine intensive Reise durch das (schreckliche) Leben von Jude St. Francis und seinem Umfeld mitnimmt. Die Erzählung konfrontiert uns mit der Frage, wie viel Schmerz und Leid ein Mensch (wirklich) ertragen kann. Es scheint, als ob die Autorin Jude die schwersten Prüfungen auferlegt, um zu beobachten, wann er schließlich (vollständig) zerbricht. Diese Darstellung lässt einen darüber nachdenken, ob es realistisch ist, dass jemand in solch extremen Umständen nicht viel früher aufgibt. Vielleicht zeigt es jedoch auch eine bemerkenswerte Stärke weiterzumachen, selbst wenn die Umstände überwältigend sind. Eine schreckliche Vorstellung, dass es tatsächlich Menschen auf der Welt gibt, die Ähnliches erlebt haben bzw. schlimm genug, wenn sie nur "Teile" davon bewältigen mussten/müssen.
Ein Punkt, der mir besonders aufgefallen ist, ist die unzureichende Behandlung des Themas Therapie. In der Geschichte, die so stark von Trauma geprägt ist, hätte eine tiefere Auseinandersetzung mit Heilungsprozessen und der Unterstützung durch das Umfeld von Jude eine wertvolle Dimension hinzufügen können. Oft fühlte ich mich frustriert über die Reaktionen seiner Freunde und Bekannte, die in entscheidenden Momenten nicht die nötige -- oder besser gesagt, eine sinnvolle -- Unterstützung bieten. Es gab Szenen, in denen ich mir wünschte, ich könnte die "Beobachter" anschreien, aktiver zu werden und MEHR zu helfen -- vielleicht aber auch wieder realistisch, dass man sich als "Bystander" komplett hoffnungslos und gelähmt fühlt; und das stark verwundete "Tier" nicht weiter in die Ecke drängen möchte...
Trotz dieser kritischen Aspekte ist das Buch literarisch sehr gelungen. Die Perspektivenwechsel sind geschickt eingeflochten und verleihen der Erzählung eine besondere Tiefe. Besonders die letzten 50 bis 70 Seiten sind so bewegend, dass sie den Lesenden mit einem Gefühl der Traurigkeit und des Nachdenkens zurücklassen. Dennoch bleibt das Gefühl, dass die dunklen Elemente der Geschichte MASSIV überwiegen. Die positiven Momente -- die Dinge an die man festhalten möchte -- sind rar und scheinen oft im Schatten des Leids zu stehen. Vielleicht war es nicht das Ziel der Autorin, eine (etwas) ausgewogene Darstellung des Lebens zu bieten, sondern vielmehr die Realität des Schmerzes und der Trauer zu beleuchten.
Insgesamt ist "Ein wenig Leben" ein eindringliches und herausforderndes Buch, das die Lesenden dazu zwingt, über die Grenzen des menschlichen Leidens und die Komplexität von Freundschaft, sowie Beziehungen und Unterstützung nachzudenken. Es ist ein Werk, das lange nach dem Lesen nachhallt und die Fragen aufwirft, die möglicherweise nie vollständig beantwortet werden können.
P.S.: ich habe nicht geweint, hatte nur an manchen Stellen Tränen in den Augen -- einerseits aus Wut, anderseits aus Hoffnungslosigkeit.
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Im Hafen seit: 20.01.2022
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09.05.2025, 21:29
(Zuletzt bearbeitet: 09.05.2025, 21:32 von JP.)
Kommen auch Abbrüche rein? Vielleicht auch nicht schlecht, so als WARNUNG
Ingrid Noll -- "Gruß aus der Küche" -- ungeschickt, simpel, liebevoll
"Und das Jugendwort des Jahres ist: cringe" -- Kurzrezension.
Ich schätze Ingrid Noll sehr für ihren schwarzen Humor und ihre Bereitschaft, sich auch sprachlich weiterzuentwickeln (immerhin hat die Dame bereits ein hohes Alter). In "Gruß aus der Küche" merkt man ihr den Wunsch an, modern zu bleiben -- was ich bewundere, aber eigentlich nicht notwendig ist. Ihr Schreibstil und ihre Sprache sind zeitlos. Denn leider wirkt der Einsatz von "Jugendsprache" übertrieben, ungeschickt eingesetzt und oft einfach nur...unpassend. Neue Begriffe mischen sich mit altmodischen Beleidigungen, was den Lesefluss deutlich stört. Die Figuren sind interessant, aber nicht fesselnd genug, um mich bis zum Ende zu halten. Nach der Hälfte habe ich abgebrochen -- mit Respekt vor der Autorin, aber auch mit Enttäuschung über die Umsetzung.
~ "Das war echt wylde, der Looser hatte richtig Muffensausen"
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Im Hafen seit: 20.01.2022
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10.05.2025, 21:09
(Zuletzt bearbeitet: 10.05.2025, 21:10 von kevers.)
Heute erst wieder mit einem erfrischenden Roman fertig geworden, mein Lesejahr 2025 läuft erstaunlich gut
Laetitia Colombani – "Der Zopf" – bewegend, rührend, hoffnungsvoll
"Der Zopf" ist eine bewegende Geschichte über drei unterschiedliche Frauen – aus drei Kontinenten – die sich aus patriarchalen Machtstrukturen, Ungerechtigkeiten und fragwürdigen gesellschaftlichen Normen herauskämpfen. Der Schreibstil der Autorin ist lebendig, metaphorisch und präzise – optimal für einen zügigen Lesefluss. Die individuellen Geschichten der Frauen sind spannend, interessant und lehrreich (vor allem Smitas Teil, bezüglich des Kastensystems – und vieles mehr – in Indien). Letzterer war auch der bewegendste Teil des Buches für mich; gerne hätte ich noch mehr über ihren weiteren Verlauf erfahren, finde aber dennoch ihr "Ende" sehr rührend – ein toller good for her-Moment.
Sarahs Part habe ich ebenfalls fiebrig verschlungen, und sie beeindruckte mich mit ihrer Stärke. Ich habe das Gefühl, dass die Autorin bei Giulias Storyline etwas oberflächlicher war als bei den anderen beiden, und ich muss zugeben, dass ich bei ihren Teilen des Buches die Sätze verstärkt überflogen habe, um schneller wieder an Smitas oder Sarahs Geschichte teilzunehmen; aber trotzdem möchte ich Giulias Rolle als wichtiges Bindeglied nicht in Frage stellen.
Fazit: ein gut geschriebenes, spannendes Buch mit starken weiblichen Hauptrollen und dem bleibenden Beigeschmack, dass Frauen leider immer noch doppelt so viel Leistung, Stärke, Willen und Mut erbringen müssen wie ein Mann...
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