Im Hafen seit: 18.09.2013
Beiträge: 769
17.01.2023, 00:53
(Zuletzt bearbeitet: 17.01.2023, 17:13 von Kubrickian.)
Die deutsche Hauptstadt, in der ich nun schon etwas über 2 Jahrzehnte lebe, ist bei weitem die größte Stadt im Land, und auch mit die wildeste & chaotischste. Das liegt einerseits an der wilden Historie - Vorzeigestadt* der Preußen, Ort wilder (Macht-)Kämpfe in der Zeit zwischen den Weltkriegen, weitflächig zerstört gegen Ende WW II - und andererseits an der langen Isolation innerhalb Ostdeutschland, bei gleichzeitigem (preiswerten!) Magnetismus auf Leute von außerhalb, insbes. vielen KünstlerInnen, inkl. Philosophie-Begeisterte/Film-Fans/RhetorikerInnen - & zuletzt deren gräßlichere Untermenge, PolitikerInnen.
Das Negative (oder wie man es eben sieht) zuerst: Weil TouristInnen & AutofahrerInnen die Stadt besonders gerne frequentieren, und außerdem jede 10. Wohnung mindestens 1 Mitbewohner des Genus Canis hat, ist die Stadt immer schnell recht dreckig, wie es sich für eine echte Großstadt gehört; die Berliner Luft wird immer reiner, hält aber mit der in anderen Städten Deutschlands nicht so recht mit, und wird daher zu überschwänglich gelobt m.E.. Es sammeln sich in der Stadt viele Menschen aus aller Welt, insbes. aus der Türkei und arabischen Ländern, und auch viele junge Menschen; Letzteres zum Teil wg. der regen neuen Gründerphase internationaler Startups, die es inzwischen in Berlin gibt. (Der gesamte letzte Satz ist aber eher die umwässerte Positivum-Insel hier im Negativen... )
In der Nähe der eigenen Wohnung im Zentrum gibt es immer eine größere Baustelle, wirklich immer. Mal ein ganzes Schulgelände platt machend, mal mehrere Straßen blockierend, mal seit Jahren vergessen (scheinbar), mal das Brandenburger Tor über 1 Jahr lang verhüllend. Und in einer Hausbauphase dort dann immer die riesigen blauen oder rosaroten Wasserabpumprohre hoch in der Luft, die sich irgendwohin weg schlängeln.
Allerdings liegt m.E. Berlin auf ca. der gleichen grünen Stufe wie München was Parkanlagen angeht. Wg. der viergeteilten Phase nach dem WW II hatte Berlin auch mindestens 1 Flughafen zuviel, und dieser wurde dann im 21. Jahrhundert geschlossen und damit de facto zu einem riesigen frei(gestaltbar)en Grasgelände mit einigen sehr breiten/langen Skating-/Radel-Bahnen. (Und ich wohne nur 30 Min. zu Fuß davon entfernt!)
Weil Berliner auch Großmäuler sind, auch die Zugezogenen nach 1-2 Jahrzehnten ( ), wäre fast im meist flachen Berlin ein 1km-hoher Berg angelegt worden auf letzterem Grasgelände. Dann lebte ich nachmittags immer in dessen Schatten!
Ansonsten ist das Profil am Horizont (s. ganz oben) eher flach; es gibt ein paar Auswüchse (der Springer-Verlag musste unbedingt mal groß) wie z.B. den Potsdamer Platz, was aber einfach auch am Genehmigungschaos kurz nach der Wende liegt, und dass der Platz mitten in der Todeszone um die Mauer stand, und daher recht leer, also "baubereit", war damals in den frühen 90ern.
Wenn man schon ein Leben als ewiger Single darbt, gefällt einem dann an der bärigen Stadt doch...
- dass man kulturell nie zu kurz kommt (z.B. alle wichtigen Performance-Leute kommen irgendwann mal vorbei, oder ziehen sogar hierhin um)
- dass es tolle gastronomische Angebote gibt (ich stelle optimistisch fest, man könnte jeden Abend im Jahr in einem anderen Laden aus Essen gehen), v.a. liebe ich die Café-Kultur!
- dass man echt kein Auto braucht in Berlin, zumindest als Single oder Arbeitspendler; am liebsten fahr ich oben vorne im Doppeldecker-Bus (im Westen) oder in einer Trambahn (im Osten)
- der kühle aber nicht zu kalte Herbst (s. z.B. Hauptbild, oben)
- dass man an vielen Stellen erinnert wird daran, dass die Deutschen gefälligst irgendwelche Großmachtträume lassen sollten - Mahnmale, Skulpturen (wie die der zugreisenden WW-II-Kinder vorm Friedrichstr.-Bahnhof), "Stolpersteine" en masse
- Heimat von großen Zeichnern wie Heinrich Zille (R.I.P.) und Flix & Seyfried (hurra, die leben noch!)
- die große Auswahl an Architektonischem, von jedem Jahrzehnt namhafte Beispiele bis zur Hoch-Zeit der Preußen zurück
- dass es noch eine echte Kino-Kultur gibt mit riesiger Auswahl an Stätten und 2-3 Programmkino-Ketten; auch gibt es im Zentrum mehrere teils sehr gut bestückte Video-Leih-Läden, so dass man als verwöhnter Berliner kaum verstehen kann, was alle immer wollen mit Lobhudeleien aufs doch recht dünn besaitete Streaming da JWD im WWW...
Abschließend noch eine kleine Galerie von Bildern, die ich im letzten Jahr schoss, einige der obigen Punkte beleuchtend...
(Touristisches/Aussichten)
(Cafés/Gastronomie)
(Bewegend-Kulturelles)
P.S.: Eines der Café-Bilder ist ein "fast-food joint", der sich so gibt als sei er ein Café! Und das letzte Bild dort zeigt ein deutsch-arabisches Fusion-Brunch-Item!
P.P.S. (late edit): Ich hatte die Wertung vergessen!! Perfekt ist mein Wohnort nicht, aber doch der der bisher - seit ich vom Elternhaus weg bin - am längsten "gehalten" hat bei meinem nomadischen Hirn... Also ...
(* weswegen es im Zentrum so viele breite Straßen & v.a. breite Gehwege gibt, ideal u.a. für Cafés /
das Eingangsfoto ganz oben ist BTW wieder von Goodfreephotos.com)
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17.01.2023, 17:31
(Zuletzt bearbeitet: 17.01.2023, 17:32 von JP.)
Toller Beitrag, Kubo, und danke für's Einstellen! Interessant, Deine Gefühle und Gedanken zu diesem Moloch Hauptstadtschatz zu lesen
Ich hab' das Gefühl, dass Berlin schon ziemlich doll polarisiert, zumindest erlebe ich in meinem Umfeld eigentlich fast immer totale Begeisterung oder heftige Ablehnung...und nur selten was dazwischen (gibt's aber natürlich auch).
Mein persönliches Pendel schwingt leider, leider eher zur negativen Seite. Ich kann mit dem punkigen Chic, dem allgemeinen Schmodder und dem Trend-Hinterher-Gehechel gerade der jungen Leut' dort nicht so viel abgewinnen.
Was nicht heißen soll, dass ich über die Jahre -- vor allem in den zwei Monaten, die ich als Jungspund mal dort für ein Praktikum verbrachte -- nicht auch gute Seiten am Berliner Leben entdeckt hätte. Man fühlt sich nie kritisch beäugt, egal was man anhat, kann jede Gaumenlust dieser Welt im Nu befriedigen, und das Tempelhofer Feld finde ich auch eine großartige Sache.
Um also nicht völlig die Spaßbremse zu sein, gebe ich mal höfliche ...
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Im Hafen seit: 18.09.2013
Beiträge: 769
17.01.2023, 17:39
(Zuletzt bearbeitet: 18.03.2023, 22:09 von Kubrickian.
Grund: Link setzen auf neue Stadt-Seite
)
(Sei ruhig (die Bremse), @ JP! Wie du schon sagtest, in/über Berlin darf man alles! Und ja, es ist definitiv eine Regenbogenstadt - ich fühle mich als Sonderling, erstmal schon nur in puncto Aussehen/Tragetasche/Sprache, der ich bin, grunds. nie wohler als wenn unterwegs auf einem Berliner Trottoir! In allen anderen Städten wird mehr gegafft bzw. der Mund verzogen o.ä. - außer evtl. NYC! )
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Najut, Keule!
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17.01.2023, 20:16
(Zuletzt bearbeitet: 17.01.2023, 20:26 von strubadur.)
Oh super, ich hab nur drauf gewartet, dass jemand Berlin einstellt, damit ich auch meinen Senf dazugeben kann!
Ich habe aus persönlichen Gründen auch immer eher ein negatives Verhältnis zu Berlin gehabt, was sich in letzter Zeit allerdings zum Besseren verschoben hat, unter anderem, weil ich durch Freund:innen die positiven Seiten Berlins kennengelernt habe. Viele meiner Pro/Contras zur Hauptstadt wurden schon genannt, aber hier nochmal meine persönliche Liste:
Pro:
+ Die vielen guten Essensmöglichkeiten - man kann wirklich ALLES bekommen! Schön essen gehen, leckerer und schneller Imbiss/Döner, schöne Cafés ... das mag ich schon sehr und ich schrecke auch vor Hipstrigkeit nicht zurück, wenns denn nicht zu prätentiös ist
+ Das Tempelhofer Feld ist auf jeden Fall ein Highlight
+ Die vielen Parks/Grünflächen und die Badeseen
+ Ich mag, dass die Kieze so unterschiedlich sind
+ Breite Gehwege!
+ Dieses Kulturkaufhaus in der Friedrichstraße
+ Die vielen Flohmärkte, vor allem der am Boxhagener Platz
+ Gutes Angebot bei Ebay-Kleinanzeigen
+ Man findet glaube ich auch echt gutes Zeug einfach so auf der Straße
+ Die vielen Kinos schätze ich auch sehr, genauso wie im Sommer das Freiluftkino-Angebot
Contra
- Wedding
- Sehr dreckig
- Nachts schlecht beleuchtet
- Meistens wenn ich da bin ist es grau und kalt, Winter ist so oder so eine Deprizeit aber wow in Berlin ist es wirklich ganz besonders furchtbar
- Fahrradfahren in Berlin find ich ziemlich unangenehm und gefährlich. Gibt zwar viele Fahrradwege, aber ich hab den Eindruck der Autoverkehr ist irgendwie krasser
- Berlin Mitte find ich echt ganz schön hässlich, vor allem diese Häuserschluchten in der Gegend um den Potsdamer Platz. Den KuDamm find ich auch furchtbar, genau wie die Gegend Unter den Linden/Friedrichstraße/Brandenburger Tor, auch wenn das natürlich das touristisch-historische Epizentrum ist, kommt mir das alles irgendwie kalt und kulissenhaft vor. Ich mag die Ecken an Berlin, wo echtes Leben stattfindet, auf jeden Fall lieber.
- Beim Gedanken daran, nach Berlin zu ziehen (was eventuell mal passieren wird, mal sehen), schreckt mich die Wohnungssuche wirklich sehr ab
- Beim Gedanken daran, in Berlin zu wohnen, schreckt mich der Gedanke, mein Fahrrad nicht auf der Straße stehen lassen zu können, sehr ab. In Würzburg kann ich es sogar unangeschlossen rumstehen lassen (mach ich inzwischen nicht mehr, weil ich ein neues hab und es nicht riskieren will, aber bei meinem alten hab ich das oft so gemacht)
- Witzig dass ihr alle sagt, ihr fühlt euch frei, in Berlin rumzulaufen wie ihr wollt - mir geht das eher umgekehrt, dass ich mich in Berlin oft wie eine Spießerin fühle. :D Aber das Gefühl wird auch weniger mit zunehmendem Alter.
So und ein Punkt den ich in Berlin oft unangenehm finde, aber als neutral bewerten würde: Man kriegt schon so einen Eindruck vom Querschnitt der Gesellschaft, viele Schattenseiten sind da sehr sichtbar, z.B. Drogensucht, Obdachlosigkeit, Sexarbeit und Zuhälterei (gegen freiwillige Sexarbeit hab ich nix einzuwenden, aber das ist glaube ich echt die Ausnahme, und solche die aus ökonomischen Zwängen und Mangel an Alternativen passiert zähle ich auf jeden Fall nicht dazu). Also grad wenn man aus dem Schnulzenland zu Besuch kommt, ist das manchmal ein ganz schöner Schock.
Ich geb mal eine , aber vor ein paar Jahren hätte ich ohne mit der Wimper zu zucken 1 Punkt gegeben, insofern ist das schon eine Verbesserung und ich würde nicht ausschließen, dass sich diese Gefühle weiter nach oben hin verbessern!
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Im Hafen seit: 18.09.2013
Beiträge: 769
22.01.2023, 17:18
(Zuletzt bearbeitet: 22.01.2023, 23:04 von Kubrickian.)
Hab jetzt länger überlegt ob ich was antworten soll, will aber nicht als der große Berlin-Verteidiger wahrgenommen werden - so dolle ein Fan bin ich auch nicht.
Also nur langkurz (= kubolingische Variante von "kurz" ) zu deinen letzten 2 Minuspunkten und der Obdachlosigkeit: - Das mit dem Fahrrad ist evtl. bezirksweise so. Fahrräder stehlen ist sicherlich in Berlin üblicher als anderswo in Deutschland - das liegt evtl. auch daran, dass Deutschland im Osten an deutlich ärmere Länder angrenzt, und Leute die von dort kommen oft in Berlin aufprallen (suche gerade das richtige dt. Wort für "land up" - mir fiel nichts Besseres ein... ). ABER: In Kreuzberg 61 wo ich wohne ist das momentan eher kein großes Problem; ich bin im Apt.-Block umgeben von Leuten die radeln, und ein wesentlicher Teil davon parkt das Fahrrad draußen vorm Hauseingang (seitdem dort so Ankettbögen von der Stadt hingebaut wurden vor kurzem!). Allerdings, sollte ich mir mal eins aneignen - momentan benutze ich noch eher einen dieser app-steuerbaren Leihfahrraddienste - würde ich auch versuchen einen dauerhaften abgedeckten Stellplatz dafür zu finden, zur Not auch dafür bezahlen.
- Ich zieh mich zu so 80% spießerisch an, und das (be)merkt keiner auf der Straße. Kann natürlich auch an meinem Alter liegen? ("Sieh mal, da läuft wieder dieser skurrile Alte..." ) Nee, also in dem von mir wahrgenommenen Berlin wird weniger gegafft, ich steh dazu. Angenehm!
- Dass Obdachlosigkeit hier offener vorkommt bzw. gezeigt wird, finde ich persönlich Ok. Deutsche leben m.E. in einer Traumwelt des relativen Luxus, insbes. anderen Ländern der Welt ggü. - da muss man gar nicht weit auf Suche gehen - und ich finde es Ok wenn Leute, denen es nicht so gut geht, und die aus der gigantischen 9m-überm-Boden-schwebenden Geldmachfabrik, in der wir alle ab Ende der Bildungsphase mitmachen müssen, heraus gefallen sind. Berlin ist eben im Ansatz eine Weltstadt - und m.E. die dt. Zukunft, wenn die ökonomische & v.a. europäische Welt sich nicht langsam insgesamt anfängt, vernünftiger zu benehmen.
Betteln ist übrigens noch ein anderes Thema; BettlerInnen in Berlin sind leider öfter mal kriminell organisiert. Oft leider auch (EU-)AusländerInnen, die sich dazu "anstellen" lassen, um auch mal das reiche Deutschland erleben zu können.
Berlin ist ein tapsender Bär, und dem nähert man sich lieber in Trippelschritten.
P.S.: Für die positiven Meldungen bedankt sich übrigens der kl. innere Berliner! Er hebt eine jrün-leuchtende Berliner Weiße auf euch, ey...
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Im Hafen seit: 10.02.2022
Beiträge: 80
Seit meinem ersten Besuch in der Stadt vor 20 Jahren als Schüler bin ich großer Berlinfan und wohne mittlerweile auch selbst hier.
Trotz der Größe der Stadt ist Berlin ziemlich grün und es gibt viel Wasser (nicht nur Spree und Havel sondern auch zahlreiche Seen).
Im Gegensatz zu den meisten Städten hat Berlin außerdem kein richtiges Zentrum durch das alle Verkehrsströme fließen.
Dadurch kann man wunderbar den Dinge auf die man gerade keine Lust hat aus dem Weg gehen ohne groß eingeschränkt zu werden.
Ich hab den Hass auf Berlin nie verstanden und glaube dass alle, die Berlin nicht mögen, die Stadt einfach gar nicht richtig kennen.
Natürlich gibts deshalb von mir auch volle Punktzahl für Berlin
Hier noch ein paar Gedanken zu den Kritikpunkten:
Radfahren
Ich finde das geht in Berlin eigentlich ganz gut. Es ist ja alles relativ flach und es gibt viele Radwege (insbesondere in den Pandemiejahren wurde noch zusätzliche Pop-up-Radwege angelegt). Ansonsten hält sich der Verkehr aufgrund der breiten Straßen (und der eher niedrigen Autodichte) im Vergleich zu anderen deutschen Städten noch in Grenzen, weshalb man auch auf Nebenstraßen meist ungestört fahren kann. Das einzige was nervt sind Gegenden mit viel Kopfsteinpflaster (z.B. in Kreuzberg und Neukölln).
Außerdem gibt es innerhalb des S-Bahn-Rings auch ein gutes Angebot an Leihrädern (nextbike etc)
Dreck
Das Berlin ja so schrecklick dreckig ist, ist eine der häufigsten Aussagen, die ich über Berlin höre und nie so richtig verstehe.
Klar, ich würde Berlin nicht unbedingt als eine sehr saubere Stadt bezeichnen, aber ich finds auch nicht dreckiger als andere Großstädte (Städte wie München und Zürich vielleicht mal ausgenommen). Ich kann mich nie erinnern je riesige Berge von Müll (man denke an die Bilder aus Neapel) gesehen zu haben und auch nach Großveranstaltungen wird zügig sauber gemacht. Das einzige was mir manchmal auffällt, ist irgendwelcher Hausrat, der vor die Tür gestellt wird, in der Hoffnung das jemand das noch gebrauchen kann.
Wohnsituation
Vor gut 10 Jahren konnte man in Berlin noch günstig Wohnraum mieten oder kaufen aber die Zeiten sind schon seit ein paar Jahren endgültig vorbei.
Ich hab habe vor ca. 3 Jahren noch relativ schnell eine Wohnung gefunden. Aktuell scheint das wesentlich schwieriger zu sein.
Meine (relativ gut verdienenden) Kollegen suchen teilweise seit über einem Jahr ohne Erfolg - trotz der Bereitschaft viele Kompromisse einzugehen.
Aus meiner Sicht hat sich die Lage aus gleich mehreren Gründen in letzter Zeit derart zugespitzt:
- Starker Zuzug:
In den letzten 10 Jahren hat die offizielle Einwohnerzahl um über 300.000 zugenommen. Dazu kommen noch zahlreiche Flüchtlinge, wie z.B. allein 100.000 Ukrainer,
die aufgrund ihres Sonderstatus hier auch arbeiten dürfen und dann natürlich auch eine Wohnung mieten wollen.
- Kaum bezahlbarer Neubau:
Das Bauen ist aufgrund der Inflation und zahlreicher Bauvorschriften mittlerweile so teuer geworden, dass es sich nur rentiert wenn entsprechend hohe Mieten bzw. Verkaufspreise im Falle von Eigentumwohnungen aufgerufen werden. D.h. der neu entstehende Wohnraum hilft nur der kleinen Anzahl an Leuten mit wirklich hohem Einkommen. Und wenn im Bestand mal eine Wohnung frei wird, dann wird bei der Neuvermietung eine so hohe Miete fällig, dass es für viele auch nicht in Frage kommt.
Aus meiner Sicht ist das Problem "Teure Mieten" nur ein Symptom des zugrunde liegenden Problems "Mehr Nachfrage nach Wohnraum als Angebot".
Die Politik scheint aktuell leider nur das Symptom zu bekämpfen ("Mietendeckel", Bürgerinitiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen") aber nicht die Ursache.
Letztlich ist die schwierige Wohnsituation leider ein Problem mit dem alle großen Metropolen zu kämpfen haben, in Berlin war man diesbezüglich aufgrund der besonderen Geschichte halt lange Zeit etwas verwöhnt.
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Im Hafen seit: 18.09.2013
Beiträge: 769
13.02.2023, 13:57
(Zuletzt bearbeitet: 13.02.2023, 14:05 von Kubrickian.)
Ich stimme dir in den meisten Punkten zu; zum letzten Abschnitt mit dem Wohnen noch ein paar Gedanken:
Du schriebst...
Zitat:Und wenn im Bestand mal eine Wohnung frei wird, dann wird bei der Neuvermietung eine so hohe Miete fällig, dass es für viele auch nicht in Frage kommt.
Meinst du nicht dass spezifisch das dann reine Gier ist? In meinem (Hinter-)Haus hat jemand Neues im obersten Stock vor ca. 3 Jahren angeblich fast die doppelte Miete bezahlen sollen, wie ich für meine exakt gleich gelayoutete Wohnung (3 Etagen tiefer, und ich miete seit knapp über 20 Jahren) - wir reden über Kaltmieten. Wir Länger-dort-Anwesenden haben ihm geraten sich zu informieren über eine Wucherbremse, die es in Berlin gibt, wenn Vermieter vergleichbare Räume einerseits viel teurer vermieten. Der Eigentümer unternimmt seit ca. 5 Jahren eher gar nichts mehr um die 2 Häuser an meiner Straßenadresse instandzuhalten - z.B. wird seit nun schon so 3-4 Monaten ein Hauseingangsschloss, das sich verklemmt hatte, nicht mit einem ebenbürtigen neuen Schloss versehen; d.h. so gut wie jeder mit einem einfach Schlitzschraubenzieher kommt bei uns hinein (die Apt.-Schlösser haben ja wiederum alle MieterInnen selber in der Hand).
Mehr bezahlbare Wohnungen in Berlin zu bauen bzw. bereit zu stellen, hatten mehrere Parteien im Wahlprogramm heuer. Mal sehen, was sie da konkret von umsetzen. Eins ist inzwischen klar: Die SPD unter Giffey wird die positiv entschiedene Volksabstimmung "Dt. Wohnen enteignen" definitiv nicht aktiv umsetzen - mal sehen ob sich bei Koalitionsverhandlungen da nun die Grünen etwas unnachgiebiger geben. (Es geht ja eh nicht um Massiv-Enteignungen, sondern letztendlich kleinere Teile. Dass nach wie vor spekuliert wird, sehe ich täglich: Im ähnlich gelayouteten Hinterhaus auf der anderen Seite des Hofes - also nicht derselbe Eigentümer wie bei uns - sind so gut wie alle Apartments seit Monaten momentan leer!!)
P.S.: Danke für den Hinweis mit den Autodichten! Hätte ich nicht erwartet, aber Berlin ist eben groß... Das unterschätzt man immer. In Kreuzberg jedenfalls ist die gefühlte Autodichte in meinem Teilkiez hoch - bin froh dass sie meine Straßenecke verkehrsberuhigt haben vor kurzem, aber am Parken-Wildwuchs hat das nur teilweise etwas geändert.
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Im Hafen seit: 10.02.2022
Beiträge: 80
Die Miete bei Neuvermietung darf eigentlich nur 10% über der "ortsübliche Miete" liegen, die sich anhand des Mietspiegels bestimmt.
Der wiederum wird jährlich offiziell durch eine Umfrage erhoben und sagt soweit ich weiß im Prinzip nur aus, was in einer Gegend durchschnittlich an Miete gezahlt wird.
Die meisten Vermieter werden wohl diese 10% komplett ausschöpfen womit im nächsten Jahr bei der Erhebung des Mietspiegels die "ortsübliche Miete" wieder etwas höher ausfällt (abhängig auch davon, wieviele Neuvermietungen es in der Gegend gab).
Dazu kommen noch die ganzen "Indexmietverträge", die an den Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamts gekoppelt sind und dafür sorgen,
dass die Miete mit der offiziellen Inflationsrate steigt (und auch wieder Auswirkung auf den Mietspiegel haben).
Ein Vermieter, der diese Möglichkeit (ortsübliche Miete + 10%) ausnutzt bewegt sich also in legalem Rahmen und würde ja eigentlich auch Geld verschenken, wenn er weniger verlangt, insbesondere bei Hunderten von Bewerbern auf eine Wohnung.
Wirklich gierig sind solche Vermieter, die ihre Wohnung jetzt nur noch möbliert und befristet anbieten um, da Kurzzeitvermietungen weniger reguliert sind und hier wirklich beliebige Preise verlangt werden können.
Auf jeden Fall hat der starke Anstieg der Mieten in den letzten Jahren auch zu einer extremen Diskrepanz bei den Mieten von Alt- und Neumietern geführt, die wiederum auch einen Einfluss auf den Mangel an Wohnraum hat. Ein Witwe die jetzt allein in einer 4-Zimmer-Wohnung wohnt, wird wohl kaum in eine kleine Wohnung umziehen, wenn sie am Ende dafür sogar noch mehr Miete zahlen muss.
Ich weiß auch nicht wie man die Situation innerhalb der nächsten Jahre wirklich spürbar verbessern kann,
vermutlich muss man an allen Reglern gleichzeitig etwas drehen: Das Angebot erhöhen (mehr bauen) und die Nachfrage senken (z.B. Anreize schaffen wegzuziehen )
und noch die Anbindung der äußeren Bezirke verbessern. Durch die Möglichkeit des Home-Office sind ja durchaus auch schon Leute nach Brandenburg rausgezogen, aber ich habe nicht den Eindruck, dass das irgendetwas verändert hat.
Gegen die Wohnraumspekulation müsste auch mehr unternommen werden, mitunter werden ja neugebaute Wohnungen überhaupt nicht vermietet in der Hoffnung diese dann in ein paar Jahren als "neuwertig" und "unvermietet" gewinnbringend verkaufen zu können.
Es gibt auch steuerlich keinen Unterschied ob man eine oder hundert Wohnungen kauft bzw. besitzt. Das ist in anderen Ländern (z.B. Italien) teilweise anders, dort kann man eine Wohnung zu Eigennutzung mit geringer Grunderwerbssteuer kaufen während
es bei jeder weiteren Wohnung teuerer wird. Ich könnte mir vorstellen, dass sowas auch einen positiven Effekt hätte.
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Im Hafen seit: 18.09.2013
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13.02.2023, 16:06
(Zuletzt bearbeitet: 13.02.2023, 16:15 von Kubrickian.)
(Wow - Danke für den genauen Info-Update! Nun, meine Apt.-Miete war vor ca. 5 Jahren ortsüblich, da wir damals eine Pseudo-Luxus-Sanierung des Eigentümers abwendeten als "Solidargemeinschaft" der meisten MieterInnen unserer Adresse. Da hatten wir uns alle genauer informiert ob des eigenen Apts.. Daher denke ich dass die soviel höhere Miete 2 Jahre später 3 Etagen höher doch eher zu hoch war. Außer natürlich die ortsübliche kann von Jahr zu Jahr stark variieren, wie du ja andeutetest, z.B. durch die Indexmieten... Hm.)
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