Ja, so seh' ich's auch.
Sprache sollte immer frei und unverkrampft sein. Sie sollte Menschen dazu ermutigen, ihre Gedanken zu formulieren und mit anderen zu kommunizieren. Gefährlich wird's in meinen Augen, wenn der Eindruck vermittelt wird, dass man mit einem gesprochenen Wort zehn andere Wörter gleich mitgesagt hat.
Aber ich geh' auch davon aus, dass Sprachen - organische Wunderwerke, die sie sind - sich immer gegen alles zur Wehr setzen, was sie aufbläht, unlesbar macht und zum Stottern bringt.
Außerdem kann ich bei diesem Thema nur eine gedankliche Sackgasse erkennen.
Denn beim "Gendern" wird ganz schön viel Energie darauf verwendet, eine übergeschlechtliche Formulierung in zwei geschlechtliche Bruchstücke aufzusprengen und ein trenndendes "und" oder "_" dazwischen zu setzen. Dann hat man am Ende "100 Ärzte und Ärztinnen", die an einem Kongress teilnahmen - und der Graben ist größer als je zuvor. Sofort stell' ich mir vor, wie wohl ein Arzt und wie wohl eine Ärztin agieren mag. Ich fange unterbewusst an, nach Unterschieden zu suchen.
Schade. Im Nu ist die eine entscheidende Betrachtungsebene verloren gegangen, nämlich jene, die sich auf das Übergeschlechtliche, alle vereinende Merkmal stürzt: Dass die 100 Leute alle echt viel über Medizin wissen.
Ich find's schon richtig bei manchen Themen "heikel" oder achtsam zu sein - da gehört auf jeden Fall auch Sexismus dazu. Aber man sollte seine Empörung und seinen Einsatz dort zeigen, wo tatsächlich Ungerechtigkeiten passieren und nicht nur eine ziemlich belanglose Sprachbesonderheit zum Tragen kommt.
PS: In Sachen Lässigkeit hat's die Homosexuellenbewegung vorgemacht! Durch wenig Hände-Über'm-Kopf-Zusammenschlagen und spielerisches Annektieren wurde ein ehemaliges Schimpfwort ("schwul") komplett entschärft und zum Standard verwandelt. Wenn das mal nicht souverän ist.